Lebensgefahr in der Zahnarztpraxis

 

Notfallmedizin: Schwierigkeit liegt in der Seltenheit – es besteht keine Routine 

Notfälle in der Zahnarztpraxis wie ein Herzinfarkt, eine akute allergische Reaktion oder ein Herz-Kreislauf-Stillstand treten in der Zahnarztpraxis sehr selten auf. Laut Statistiken nur 0,2-mal pro Jahr – man kann auch sagen, in zehn Jahren ereignet sich gerade mal ein lebensbedrohlicher Notfall in der Zahnarztpraxis. Und genau hier besteht schon die erste Stolperfalle. Besitzen Behandler und Team die nötige Routine in der Notfallversorgung?

Wer erinnert sich noch an die Zeiten, als man einen überfüllten Notfallkoffer mit Intubationsbesteck und Notfallmedikamenten in zweistelliger Zahl in der Praxis vorhielt? Eine großzügige Notfallausstattung mag ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, ist jedoch nicht mehr zeitgemäß. In erster Linie rettet man nicht mit der Notfallausrüstung ein Menschenleben, sondern mit den Fähigkeiten und Handlungen. Diese sollten regelmäßig trainiert werden.

Heute gilt der Grundsatz „Back to the Basics“. Stellen Sie sich vor, der Patient verliert plötzlich ohne erkennbaren Grund auf dem Behandlungsstuhl das Bewusstsein. Wie würden Sie mit ihrem Team handeln?

Der erste Schritt ist nun, sich einen Überblick über die Notfallsituation zu verschaffen: Den Notruf per Telefon über die 112 abzusetzen und dann die Atmung des Patienten zu überprüfen. Dazu sollte ihr Patient in eine horizontale Lage auf dem Behandlungsstuhl gebracht werden. Nun öffnen Sie den Mund des Patienten und schauen nach, ob sich im Mundraum Fremdkörper oder Erbrochenes befindet. Falls ja, entfernen Sie diese mit ihren Fingern, der Absaugung oder einer Zange/Pinzette. Der nächste Schritt ist das Überstrecken des Kopfes, nach hinten zum Nacken (Abb. 1). Für eine adäquate Atemkontrolle ist der Kopf des Patienten in der überstreckten Position zu halten, Sie führen Ihren Kopf mit einem Ohr über das Gesicht des Patienten und schauen Richtung Brustkorb des Patienten. Nun können Sie durch einen Blick auf den Brustkorb sehen, ob dieser sich durch die Atmung hebt und senkt. Durch Ihr Ohr über dem Gesicht des Patienten können Sie hören, ob dieser atmet oder nicht, und an Ihrer Wange können Sie den Atemstoß fühlen oder nicht.

Durch das Sehen, Hören und Fühlen, das Sie zirka 10 Sekunden durchführen sollten, wissen Sie, ob der Patient atmet oder nicht atmet.

Hat der Patient noch eine Atmung, so hat er auch noch einen ausreichenden Kreislauf und  muss in die stabile Seitenlage gebracht werden, um ihn vor dem Ersticken durch Erbrochenes und durch verlegte Atemwege zu bewahren. Auf dem Behandlungsstuhl kann man die stabile Seitenlage in abgewandelter Form anwenden.

Wenn der Patient keine Atmung mehr aufweist, hat dieser auch keinen ausreichenden Kreislauf mehr und muss umgehend wiederbelebt werden! Eine Pulskontrolle findet hier keine Anwendung mehr. Zur Herz-Lungen-Wiederbelebung muss der Patient vom Behandlungsstuhl auf den Fußboden gebracht werden. Der bekannte Rautek-Rettungsgriff kostet viel zu viel Zeit und  Kraft. Der Behandlungsstuhl wird in die niedrigste liegende Position gefahren. Idealerweise „schieben oder ziehen“ Sie den Patienten zu zweit seitlich vom Behandlungsstuhl auf den Fußboden und achten darauf, dass sein Kopf nicht auf den Boden aufschlägt.

Haben Sie einen AED/DEFI (Automatisierten Externen Defibrillator) zur Verfügung, schalten Sie das Gerät sofort ein und folgen nur den Anweisungen des Geräts! Falls kein AED zur Verfügung steht, entkleiden Sie den Oberkörper des Patienten, setzen einen Handballen in der Mitte des Brustkorbes auf das Sternum auf, legen Ihre andere Hand auf die erste Hand und drücken nun mit durchgestreckten Armen den Brustkorb des Patienten 30-mal vier bis fünf Zentimeter zügig ein (Abb. 2). Nach dreißig-mal drücken erfolgen durch ein anderes Teammitglied zwei Beatmungen bei überstreckten Kopf mit dem Beatmungsbeutel.

Das 30-mal-Drücken in Abwechslung mit zweimal beatmen führen Sie bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes/Notarzt ohne Unterbrechung durch. Sie sehen, Leben retten ist einfach!

Neben dem ethischen Aspekt, ein Leben retten zu können, ist es in der Zahnarztpraxis im Rahmen des Qualitätsmanagements vorgeschrieben, ein Notfallmanagement einzurichten. Dieses beinhaltet eine passende Notfallausrüstung mit regelmäßiger Überprüfung, eine regelmäßige Brandschutzunterweisung und ein jährliches Notfalltraining.

Das Notfalltraining sollte mit dem gesamten Team vor Ort in der eigenen Praxis durch erfahrene und zertifizierte Notfalltrainer durchgeführt werden, denn dort kann auf die Praxisgegebenheiten und das gesamte Team bestens eingegangen werden.

Mike Gottstein, Notfalltrainer/Lehrrettungsassistent

Mike Gottstein ist als Notfalltrainer spezialisiert auf dentales Notfallmanagement bei E.M.S MenoTrain Deutschland (Berlin). Als Lehrrettungsassistent und Instruktor des European Resuscitiation Council verfügt er über das notwendige Fachwissen zum Thema Notfall in der Zahnarztpraxis. Mehr als 5.000 Teilnehmer aus dem dentalen Bereich konnte Gottstein „notfallsicher“ für den Notfall in der Zahnarztpraxis machen. Auch für einen großen zahnärztlichen Berufsverband und die Friedrich-Schiller-Universität in Jena war er als Notfalltrainer aktiv. Kontakt per E-Mail unter m.gottstein@notfallsicher.de, Informationen unter www.notfallsicher.de.

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